Ein Beispiel zur Veranschaulichung der Nachteile
des Regierungsentwurfes und der Vorteile des
Alternativentwurfes.
Das Beispiel
1. Angenommen, Sie sind als Kapitän oder Reeder Beteiligter eines Seeunfalls. Die Unfallursachen werden von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (nachfolgend als "Bundesstelle" bezeichnet), in einer rein fachlich technischen Untersuchung ermittelt. Die technische Auswertung des Unfallgeschehens durch die Bundesstelle (Auswertung der
Voyage-Data-Recorders, Ermittlung der Kurse und Geschwindigkeiten der beteiligten Schiffe vor der Kollision etc.) ist nicht zu beanstanden. Sie selbst haben keine Möglichkeit, Beweisanträge zu stellen und sich im Hinblick auf die korrekte Ermittlung der Unfallursachen aktiv am Untersuchungsverfahren der Bundesstelle zu beteiligten, da Sie im Verfahren – anders als im Verfahren nach dem SeeUG – nicht Beteiligter sind und keine
Mitwirkungsrechte haben. Die Bundesstelle vernimmt zwar einige Zeugen. Hiervon erfahren sie nichts. Sie oder Ihr Anwalt konnten also den Zeugen keine zur Aufklärung des Sachverhalts gebotenen Fragen stellen oder weitere Zeugen benennen. Denn das Verfahren läuft unter dem
Ausschluss der Öffentlichkeit. Irgendwann erhalten sie – wenn die Bundesstelle das nach Lage des Falles für geboten hält – den Entwurf eines
Untersuchungsberichtes und dürfen eine vom Bericht abweichende Stellungnahme abgeben. Ist diese nach Auffassung der
Bundesstelle begründet und wesentlich, so darf die Bundesstelle Ihre Stellungsnahme im Abschlußbericht berücksichtigen.
2. Sie erhalten den Abschlußbericht und sind der Meinung, dass dieser falsch ist. Ihnen sei – anders als im Bericht ausgeführt – kein Fehlverhalten anzulasten. Sie (als Reeder Ihr Kapitän) hätten keinesfalls das von ihnen zur Vermeidung der Kollision gem. Regel 8-a) KVR eingeleitete Manöver unentschlossen, zu spät und nicht den Erfordernissen der guten Seemannschaft
entsprechend ausgeführt, sondern in jeder Hinsicht der Regel entsprechend. Der Untersuchungsführer – ein
ehemaliger Kapitän wie Sie – habe nicht alle Zeugen vernommen, den vernommenen Zeugen nicht die richtigen Fragen gestellt, einander widersprechende
Zeugenaussagen nicht richtig gewürdigt und die Regel 8-a) KVR falsch ausgelegt (dafür waren früher beim Seeamt Volljuristen gemeinsam mit erfahrenen Beisitzern aus der Schifffahrt zuständig). Der Untersuchungsbericht wird selbstverständlich ohne Nennung Ihres Namens (u.a. auf der Internet-Homepage der Bundesstelle) veröffentlicht.
3. Sie möchten gerne gegen die Feststellungen des Untersuchungsberichtes etwas unternehmen. Das ist problematisch. Denn der Untersuchungsbericht der Bundesstelle ist ein Gutachten und kein Verwaltungsakt, auch wenn er inzident die Entscheidung enthält,
dass der Unfall darauf zurückzuführen ist, dass Sie gegen Regel 8-a) KVR verstoßen haben. Im Untersuchungsbericht steht zwar : "Der Seeunfall ist darauf zurückzuführen,
dass der Kapitän des Schiffes "GERECHTIGKEIT" gegen die sich aus Regel 8-a) KVR ergebende Verpflichtung verstoßen hat, ... Kapitän waren ja Sie, das weiß jeder an der Küste und die Presse sowieso. Widerspruch gegen das Gutachten können Sie nicht einlegen. Denn es gibt nach dem Reg.Entw.SUG keinen
Widerspruchsausschuss des Bundesoberseeamtes mehr. Eine auf Widerruf der
falschen Feststellungen der Bundesstelle gerichtete (Leistungs-) Klage wird vor dem Verwaltungsgericht nur dann Aussicht auf Erfolg haben, falls der
Untersuchungsbericht der Bundesstelle den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit widerspricht oder aus sonstigen Gründen rechtswidrig ist. Solche "groben Schnitzer" hat die Bundesstelle aber schon lange nicht mehr und auch in ihrem Fall nicht gemacht. Na, dann haben Sie eben "Pech" gehabt und müssen allen, die sich dafür interessieren, erzählen,
dass der Bericht der Bundesstelle falsch war. Ob das wohl alle glauben ?
4. Die WSD-Nordwest meint, aus dem Untersuchungsbericht der Bundesstelle würden sich hinreichende
Anhaltspunkte dafür, dass Ihnen z.B. Ihr Patent zu entziehen sei, ergeben. Die WSD-Nordwest beantragt deshalb beim "Patententziehungs-Seeamt", dies näher zu untersuchen. Endlich stehen Ihnen die gewohnten Mitwirkungsrechte nach dem VwVfG zur Verfügung. Leider können Sie jetzt die Entlastungszeugen, welche Ihnen im Verlaufe des Untersuchungsverfahrens vor der Bundesstelle noch zur Verfügung gestanden hätten und nicht von der Bundesstelle gehört wurden, nicht mehr präsentieren. Die befinden sich z.B. wieder auf den Philippinen, irgendwo an Bord oder sind unauffindbar. Das "Patententziehungs-Seeamt" entzieht Ihnen deshalb Ihr Patent.
5. Das gefällt Ihnen überhaupt nicht. Die Möglichkeit, gegen den Spruch des "Patententziehungs-Seeamtes"
Widerspruch einzulegen und die nach Ihrer Ansicht falsche Entscheidung von dem sich aus einem Juristen als
Vorsitzenden, einem Kapitän als ständigen Beisitzer und drei sachkundigen, mit den Verhältnissen an Bord vertrauten ehrenamtlichen Beisitzern zusammensetzenden
Widerspruchsausschuss des Bundesoberseeamtes überprüfen zu lassen, haben Sie nicht mehr. Denn die Regierung hat das Bundesoberseeamt ja abgeschafft. Früher, nach dem SeeUG, überprüfte das Bundesoberseeamt nicht nur die Frage, ob der Patententzug zu Recht erfolgte, sondern auch erneut die Frage, ob der Seeunfall durch Ihr Verhalten verursacht wurde.
Jetzt müssen Sie gleich klagen. Zuständig ist auch nicht mehr die Kammer für Seeunfallsachen des
Verwaltungsgerichtes Hamburg (die waren spezialisiert), sondern das für das örtliche zuständige "Patententziehungs-Seeamt" zuständige Verwaltungsgericht. Da sitzen zwar keine früheren Berufskollegen von Ihnen als ehrenamtliche Beisitzer, sondern "nur" Juristen. Die haben damit aber auch keine Probleme. Denn sie vertreten zu Recht die Auffassung, sie seien keine "Obergutachter". Es sei nicht ersichtlich,
dass das "Patententziehungs-Seeamt" bei der Erstellung seines als "Eignungsgutachten" zu wertenden Spruchs bestehende rechtliche Bindungen nicht beachtet habe. Ihre Klage wird abgewiesen. Wollen Sie gegen dieses Urteil Berufung einlegen, auch wenn dies gem. § 33 Reg.Entw.SUG jetzt möglich ist ? Oder ist Ihnen durch diese Regelung möglicherweise nur "theoretisch" mehr Rechtsschutz gewährt worden? Aha, also doch nur Theorie. Ein anderes Ergebnis wäre auch merkwürdig, da die Regierung im übrigen ja viele Mitwirkungs-, Verfahrensrechte und Rechtsbehelfsmöglichkeiten
abgeschafft hat.
6. Zwischenzeitlich haben Sie als Kapitän Ihren Arbeitsplatz verloren. Denn Sie sind auf Ihr Patent angewiesen (als Lotse
dürften Sie nicht mehr lotsen). Ihr Reeder hat Ihnen nicht zuletzt wegen des für Sie nicht schmeichelhaften Untersuchungsberichtes der Bundesstelle gekündigt und hat Probleme, seinen Kollisionsschaden beim
Kollisionsgegner durchzusetzen. Glücklich sind also weder Sie noch Ihr Reeder. Aber: Zum Glück gibt es unsere
Gerichte und Rechtsanwälte. Beide kosten Sie zwar viel Geld, aber vielleicht tritt ja Ihr Rechtsschutzversicherer ein.
Sie lassen jetzt die wirklichen Ursachen des Unfallhergangs vom Arbeitsgericht, Ihr Reeder im
Kollisionsprozess vor dem Landgericht feststellen. Gerichte und Anwälte haben jetzt viel mehr zu tun als früher, da - anders als früher die Sprüche des Bundesoberseeamtes - die
Untersuchungsberichte der Bundesstelle von den Beteiligten weniger akzeptiert werden und die Anwälte auch als Vertreter von Flaggenstaaten an den Untersuchungen der Bundesstelle mitarbeiten. Die Gerichte ziehen natürlich die Akte der Bundesstelle zu Informationszwecken bei. Dummerweise haben Sie im
Untersuchungsverfahren der Bundesstelle einige Sie eher belastende Äußerungen gemacht, weil die Vernehmungsatmosphäre sehr angenehm und "nobel" war. Der
Untersuchungsführer der Bundesstelle war richtig nett. Er hatte Ihnen sogar Kaffee angeboten und erzählt,
dass all das, was sie sagen, nicht gegen Sie verwertet werden darf. Sie hatten sich dann sozusagen "geoutet" und ihm vertrauensvoll alles, was Sie
wussten, erzählt. Der kurz danach
erscheinende P&I-Anwalt hatte zwar nur die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, aber da war’s schon geschehen. Besser wäre es schon gewesen, wenn Sie einige Aussagen nicht gemacht hätten, auch für Ihren Reeder. Denn in Kenntnis ihrer nicht verwertbaren Aussage gibt es jetzt vor dem Arbeitsgericht und dem Landgericht im
Kollisionsprozess seltsame
Beweisaufnahmen. Die nehmen Beweis auf über das, was Sie damals gesagt haben und was aus den Ermittlungsakten sowieso alle wissen. Es müssen nur alle so tun, als ob sie es nicht
wüssten. Da verstehe einer die Justiz. Aber was sein muss, muss sein. Hauptsache, es dient der Ermittlung der Wahrheit.
Das Arbeitsgericht und das Landgericht sind zum Glück nicht an den Untersuchungsbericht der Bundesstelle gebunden. Deshalb kann Ihr Anwalt jetzt endlich alle Register seines Könnens ziehen und die von der Bundesstelle vernommenen Zeugen sehen "ganz alt" aus, zumal die von der Bundesstelle nicht vernommenen, von Ihnen benannten Zeugen genau das Gegenteil erklären. Endlich widerfährt Ihnen Gerechtigkeit. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landgericht zeigen, wie eine Beweisaufnahme durchzuführen und zu würdigen ist und kommen zu einem ganz anderen Ergebnis als die Bundesstelle. Das hat Sie viel Zeit und Geld gekostet.
Die Bundesstelle interessiert das überhaupt nicht. Diese sollte sich zwar nicht deshalb von der uneingeschränkten Darstellung der Unfallursachen abhalten lassen, weil aus den Untersuchungsergebnissen Rückschlüsse auf ein schuldhaftes Verhalten oder eine haftungsrechtliche Verantwortung am Unfall Beteiligter gezogen werden könnten. Das Ziel ihrer Untersuchungen war, durch die Untersuchung Kenntnisse für die Verbesserung der Sicherheit der Schifffahrt zu erlangen. Das "Nebenprodukt" der Inzidententscheidung über Ihr Fehlverhalten war insoweit unbeachtlich, ob Ihnen das nun gefällt oder nicht. Sie können deshalb wohl auch keinen Amtshaftungsprozeß gegen die Bundesstelle führen, es sei denn ....(aber das würde hier zu weit führen).
Wenn Ihnen das alles so gefällt, dann verschwenden Sie bitte nicht ihre kostbare Zeit und lesen Sie nicht weiter!
Ansonsten nehmen Sie sich bitte die Zeit, die Vorteile
des Alternativentwurfes zu überprüfen.
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