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Deutsche Seeschiffahrt 02/2002 Seeunfall-Untersuchung - ein Lehrstück? Der Bundestag hat mit den Stimmen der Regierungskoalition und gegen die Stimmen der Opposition ein neues Verfahren zur Seeunfall-Untersuchung beschlossen. Eine zunehmend lebhafte und teilweise erbittert geführte politische Diskussion hat damit jedenfalls einen parlamentarischen Abschluß gefunden. Ob dies auch zu einer Befriedung des an der Küste entstandenen Unmuts führen wird, muß sich zeigen. Es wäre zu hoffen. Warum also die Aufregung? Zunächst: Was bewirkt das neue Gesetz? Die Kritiker des Vorschlags verweisen auf die bisher aus ihrer Sicht sehr erfolgreiche Tätigkeit der Seeämter. Die Seeämter stünden in einer langen Tradition, die in der nautischen Gemeinschaft und im maritimen Umfeld fest verwurzelt sei. Sie sehen in der Öffentlichkeit des Untersuchungsverfahrens einen hohen Wert. Gerade bei spektakulären Unfällen führe eine öffentliche Untersuchung zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Untersuchungsergebnisse. Sie verweisen auf die bisher problemlose Zusammenarbeit der Seeämter mit ausländischen Untersuchungsstellen, wie sie gerade bei jüngsten Unfalluntersuchungen erfolgreich praktiziert worden sei. Sie meinen, die Interessen der betroffenen Seeleute würden besser geschützt, wenn sie einem Spruchkörper gegenüberstehen, der mit nautischen und technischen Sachverständigen besetzt ist. Der vorsitzende Jurist garantiere einen fairen Verfahrensablauf. Sie glauben, daß die tatsächlichen Geschehensabläufe eines Unfalls besser ermittelt werden können, wenn alle am Unfall Beteiligten in einem mündlichen Verfahrensabschnitt zu Worte kommen und Gelegenheit haben, sich auch zu gegenteiligen Auffassungen anderer Beteiligter äußern zu können. Sie befürchten schließlich, daß sich künftig die Seeleute verstärkt vor Staatsanwaltschaften und Gerichten verantworten müssen, weil die Berichte der neuen Untersuchungsstelle sich gerade nicht mehr mit der Feststellung vorwerfbaren Verhaltens befassen sollen. Der notwendige nautisch-technische Sachverstand fehle aber den Gerichten. Nautische Gutachter könnten zwar hinzugezogen werden, seien aber kostenaufwendig und weniger effizient als ein nautisch-technisch besetzter Spruchkörper. Dies alles werde zu Lasten der Seeleute ausgehen. Reedereien haben gegenüber dem Gesetzesvorschlag eher abgewogen reagiert. Sie sind in erster Linie an effizienten und kostengünstigen Verfahren und an für die Praxis verwertbaren Resultaten interessiert. Sie haben deshalb die Befürchtung geäußert, im Ergebnis mit höheren Kosten der Rechtsverfolgung belastet zu werden, wenn künftig die bisherige Akzeptanz der Seeamts- oder Oberseeamtssprüche als Grundlage zivilrechtlicher Vergleiche mit Versicherern und Kollisionsgegnern verlorenginge. Von Reederseite ist zusätzlich darauf verwiesen worden, daß der Vergleich zur Luftfahrt hinkt. Der Untersuchungsbehörde für die Luftfahrt stünden für das Jahr 2002 ca. 2,7 Mio. EUR zur Verfügung. Der neuen Untersuchungsbehörde für die Seeunfall-Untersuchung aber nur ca. 200.000 EUR. Dies entspreche etwa dem Mittelansatz, der bisher für die Seeämter aufgewendet worden sei. Dieser Ansatz habe kaum ausgereicht, um insbesondere bei Unfällen im Ausland ein zügiges Ermittlungsverfahren durchzuführen. Dies werde sich mit dem geringen Mittelansatz für die neue Behörde nicht wesentlich ändern, selbst wenn man davon ausginge, daß künftig weniger Unfälle als bisher durch die Behörde untersucht würden, weil Verfahren zur reinen Schuldfeststellung künftig auf die Polizei und die Staatsanwaltschaft verlagert werden. Eine höhere Effizienz sei von dem neuen Verfahren daher kaum zu erwarten. Vom Ergebnis her betrachtet, kann man ein Untersuchungsverfahren entweder wie bisher oder auch anders gestalten. Verfahrensfragen sind Fragen der Zweckmäßigkeit. Sie geben im Regelfall keinen Anlaß zu politischen Glaubenskriegen. Sie rufen eher danach, sich mit den Hauptbeteiligten zusammenzusetzen und in Rede und Gegenrede einen gemeinsamen Vorschlag zu entwickeln, der dann von allen getragen werden kann. Mangels einer breiten Vorklärung zum Abbau von Empfindlichkeiten schon in der Vorbereitungsphase des Gesetzes, verlagerte sich die Diskussion auf das Parlament. Angesichts wachsender Kritik in Wahlkreisen sahen sich Bundestagsabgeordnete vor die Notwendigkeit gestellt, die Betroffenen zu außerparlamentarischen Anhörverfahren zu bitten. Hier äußerte sich der Unmut, der sich sonst nicht äußern konnte, mit der Folge, daß die Väter des Gesetzentwurfs sich eher in der Rolle von "Angeklagten" wiederfanden. Dies führte eher zu politischem Schlagabtausch als zu konstruktiven neuen Lösungen. Mehr als 50 Änderungsvorschläge wurden entwickelt. Sie wiederum erreichten die Opposition so spät, daß die CDU/CSU-Vertreter aus Protest der Abstimmung im Verkehrsausschuß fernblieben. Die in der Schiffahrtspolitik gewohnte Einstimmigkeit im Parlament war nicht mehr zu halten, kontroverse Abstimmungen waren programmiert. Der mit dem Gesetz erhoffte politische Strahlenglanz verblaßte. Aus einer Verfahrensfrage war ein Politikum geworden. Wohlgemerkt: Es ging nicht um eine Regierungsvorlage zu der Frage, wie die maritime Wirtschaft Deutschlands erfolgreich in das 21. Jahrhundert zu führen ist. Es ging nicht um einen Gesetzentwurf, der dem deutschen Schiffahrtsstandort - inzwischen zu einem der größten in Europa expandiert - auf sich weiter globalisierenden Märkten Vorsprünge im Wettbewerb verschaffen wollte. Nein: Zu diesen Fragen, die politische Leidenschaft verdient hätten, gibt es gar keine Gesetzesvorlagen. Es ging nur um die verfahrensmäßige Ordnung für die Untersuchung von Seeunfällen. Ihre wirtschaftliche Bedeutung geht eher zurück, denn trotz wachsender Flotte nimmt die Zahl der Unfälle ständig ab. Die deutsche Flotte gehört nämlich zu den modernsten in der Welt, mit einem sehr niedrigen Durchschnittsalter und einem sehr hohen Sicherheits- und Umweltstandard. Die Untersuchung von Seeunfällen soll in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Nur die Fragen, die den Schiffahrtsstandort Deutschland wirklich bewegen, liegen auf vollständig anderen Feldern. Gemessen daran ist die Frage, ob und wie ein behördliches Untersuchungsverfahren zweckmäßigerweise neu geordnet werden soll, eher zweitrangig. Warum das politische Mangement es zugelassen hat, daß sich eine solche Frage in eine erstrangige politische Kontroverse entwickeln konnte, bleibt offen. Politische Lorbeeren lassen sich damit jetzt nicht mehr ernten. Die Befürworter des Gesetzes sehen in dem neuen Verfahren trotz aller Kritik unverändert ein Lehrstück für die Entwicklung einer modernen Sicherheitsphilosophie. Das Gesetz mag ein Lehrstück für vieles sein, nur ein Lehrstück für politisches Management ist es nicht. |